R. C. SmithOld Stories in German

Besuch

Audio gelesen von RC (3:56)

Ein leicher Wind kam von Westen über den Wald und bewegte die Äste der Bäume, von denen einige mit ihren Gipfeln bis hier in die Höhe der vierten Etage reichten, und deren dichtes Blätterwerk den Blick nicht bis zum Boden durchdringen ließ; der Wind dränge die Dunstwolke der Stadt zurück, die grau und stickig bis hierher vorgedrungen war. Ich trat zurück in die Wohnung und schloss die Balkontüre hinter mir. Der Wind brachte die Kühle der Abenddämmerung; die Schreie der Mädchen, durch die Bäume gedämpft, waren nun bei geschlossenen Fenstern kaum noch zu hören.

Das Mädchen saß im Fauteuil, das Glas mit dem Fruchtsaft hielt sie in der Hand, von der Bonbonniere auf dem gläsernen Couchtisch hatte sie nichts genommen. „Darf ich telefonieren?“ fragte sie noch einmal; ich hatte ihr schon beim ersten Mal geantwortet, dass das unvernünftig wäre. Sie würde sich, denen, die sie anrief, und vielleicht auch uns Probleme schaffen, die wir nicht beurteilen konnten. Es war sicher schwer für sie. Sie erzählte nicht, wer sie war, und auch nicht, wie sie den Braunhemden hatte entkommen können; in der Kurve vor dem Parkplatz hatte es einen Unfall gegeben. Ich goss ihr Fruchtsaft nach. Vor einigen Stunden war sie noch durch die Stadt gegangen, ich weiß nicht, durch welche Straßen, sie hatte ein Kleid gekauft und eine Freundin getroffen, bevor sie den Braunen aufgefallen war. Sie hatte dunkle Haare, in langen Locken bis über die Schultern herab, und sie trug ihr neues Kleid, aus weißer Seide, dünn, am Körper anliegend, mit kurzen Ärmeln; was immer sie mit sich getragen hatte, hatte sie verloren. Sie wirkte klein und verloren zwischen den großen weichen Pölstern. Ich schob ihr die Bonbonniere näher, aber sie nahm nichts. Hier im Wald vor dem Haus, bei den Mauern einer alten Ruine, ist einer der Plätze, wo die Braunhemden ihre Treffen haben. Sie vergewaltigen die Mädchen, sie zerschneiden und zerreißen ihnen die Kleider und, wenn ihnen danach ist, die Brüste, und beim Lagerfeuer sprechen sie dann von den großen Jahren, denen die waren, und denen die noch kommen würden, und dann grölen sie ihre Lieder, und was sie noch alles mit den Mädchen machen, wissen wir nicht. Unsere Beschwerden sind ohne Antwort geblieben, immer noch sind bis spät in die Nacht die Schreie und die Lieder zu hören, wenn nicht alle Fenster fest geschlossen bleiben. “Können Sie mir Tabletten geben?” Sie sprach leise, ohne viel Hoffnung. Ich sah die Medikamentenlade durch, und fand eine angebrochene Packung. Ich schloss die Lade wieder. Die anderen mussten es auch überstehen. „Es tut mir leid“, sagte ich. Ich habe von ihr nicht erfahren, was sie eigentlich erwartet hatte, als sie unten auf alle Klingelknöpfe gedrückt hatte; ich war der einzige gewesen, der sie eingelassen hatte. Sie mussten gesehen haben, wie sie das Haus betrat, und jetzt darauf warten, dass sie wieder herauskam. Leute wie sie warteten nicht gerne. „Es tut mir leid, aber ich erwarte Besuch“, sagte ich. Sie stand auf, und ich führte sie zum Lift.

Visitor

Across the wood a light breeze blew from the west and stirred the branches of the trees, of which some reached up with their crowns here to the level of the fourth floor, and whose thick foliage prevented the gaze from penetrating to the ground; the wind pushed back the cloud of gray and stuffy city air that had stretched towards here. I stepped back into the apartment and closed the balcony door behind me. The wind brought the chill of dusk; through the closed windows the screams of the girls, muffled by the trees, could now hardly be heard anymore.

The girl was sitting in the armchair, the glass with the fruit juice in her hand, she had not taken anything from the box of chocolates on the glass coffee table. “May I use your telephone?” she asked once again; I had already replied before that this would not be wise. For herself, for those whom she might call, and maybe for us, she might create problems which we could not assess. It was certainly not easy for her. She did not say who she was, or how she had managed to escape the brown-shirts; at the bend of the road before the parking lot there had been an accident. I filled up her fruit juice glass. A few hours ago she had been walking through the town, I do not know along which streets, she had bought a summer dress and met a friend, before she had caught the attention of the brown-shirts. She had dark hair, falling down in long locks over her shoulders, and she was wearing her new dress, thin white silk, fitting to the contours of her body, with short sleeves; whatever she had carried with her, was gone. She looked small and lost among the large soft pillows. I pushed the box of chocolates closer to her, but she took no notice of it. Here in the wood that stretches in front of the house, by the walls of an old ruin, is one of the places where the brown-shirts have their gatherings. They rape the girls, they cut and tear up their clothes, and when they feel like it, their breasts, and by the campfire they talk about the glorious years, those that had been, and those that were yet to come, and then they bawl out their songs, and what they do with the girls then, we do not know. Our complaints have never received replies, and still until late into the nights the din of the screams and the songs can be heard, unless all the windows remain firmly shut. “Can you give me some pills?” She spoke softly, without much hope. I looked through the medicine drawer, and found an opened package. I closed the drawer again. The others had to go through it, too. “I am sorry,” I said. I never learned from her what she had actually expected, when she had pushed all the bell buttons of our apartment building; I had been the only one who had let her in. They must have seen how she had entered the house, and now they must be waiting for her to come out again. People like them did not wait gladly. “I am sorry, but I am expecting a visitor,” I said. She got up, and I led her to the elevator.

(ca. 1975, minor edits and translation 09/2022)

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